Die traditionelle Vorstellung von IT-Sicherheit – eine starke Firewall schützt das Unternehmensnetzwerk vor externen Bedrohungen – ist längst überholt. In Zeiten von Cloud-Computing, Remote-Arbeit und zunehmend raffinierten Cyberangriffen reichen perimeterbasierende Sicherheitskonzepte nicht mehr aus. Die Antwort auf diese Herausforderung lautet Zero-Trust-Architektur (ZTA) – ein Sicherheitsmodell, das auf dem Grundsatz "Vertraue niemals, überprüfe immer" basiert. Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen sowie das Gesundheitswesen bietet dieser Ansatz erhebliche Vorteile bei der Absicherung sensibler Daten.
Warum Zero-Trust gerade im Gesundheitswesen unverzichtbar wird
Das deutsche Gesundheitswesen steht vor besonderen Herausforderungen: Die Digitalisierung schreitet voran, gleichzeitig sind Patientendaten hochsensibel und unterliegen strengen Datenschutzbestimmungen. Gesundheitseinrichtungen sind bevorzugte Ziele für Cyberkriminelle, da medizinische und finanzielle Daten auf dem Schwarzmarkt besonders wertvoll sind. Ein erfolgreicher Angriff kann nicht nur zu Datenverlust führen, sondern im schlimmsten Fall die Patientenversorgung gefährden.
Die deutsche Telematikinfrastruktur (TI), die den sicheren Austausch von Patientendaten ermöglicht, wird derzeit grundlegend überarbeitet. Die neue TI 2.0 basiert auf Zero-Trust-Prinzipien und löst das bisherige VPN-gesicherte Netzwerkmodell ab. Diese Neuausrichtung wurde notwendig, da die alte Architektur den Anforderungen an Skalierbarkeit, Verfügbarkeit, benutzerfreundliche Sicherheit und mobile Kompatibilität nicht mehr gerecht wurde.
Kernprinzipien der Zero-Trust-Architektur
Zero-Trust operiert nach dem Grundsatz, dass kein Nutzer, kein Gerät und keine Anwendung automatisch vertrauenswürdig ist – unabhängig davon, ob der Zugriff von innerhalb oder außerhalb des Netzwerks erfolgt. Jeder Zugriffsversuch wird streng authentifiziert, autorisiert und kontinuierlich überwacht.
Least-Privilege-Prinzip
Zugriffsrechte werden strikt kontrolliert und Nutzern nur die minimal notwendigen Berechtigungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben gewährt. Dies minimiert die Auswirkungen kompromittierter Zugangsdaten erheblich. Ein Mitarbeiter der Buchhaltung erhält beispielsweise keinen Zugriff auf Patientenakten, ein Arzt keine Berechtigung für Finanzsysteme.
Mikrosegmentierung
Das Netzwerk wird in kleinere, isolierte Segmente unterteilt, die jeweils über strenge Zugangskontrollen verfügen. Diese Segmentierung verhindert die unbefugte laterale Bewegung innerhalb des Netzwerks. Selbst wenn ein Segment kompromittiert wird, bleibt die Bedrohung eingegrenzt und kann sich nicht auf andere Bereiche ausbreiten. Lösungen wie Illumios Zero-Trust-Segmentierung visualisieren kontinuierlich die Kommunikation zwischen Workloads und erstellen granulare Richtlinien, um Ransomware-Ausbreitung zu verhindern.
Multi-Faktor-Authentifizierung
Nutzer müssen ihre Identität durch mehrere unabhängige Methoden verifizieren – beispielsweise Passwort, Sicherheitstoken und biometrische Daten – bevor sie auf Netzwerkressourcen zugreifen können. Die Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) stellt eine erhebliche Barriere gegen unbefugten Zugriff dar und ist ein zentraler Baustein jeder Zero-Trust-Implementierung.
Kontinuierliche Überwachung und Validierung
Alle Nutzer- und Geräteaktivitäten werden kontinuierlich überwacht und gegen Sicherheitsstandards validiert. Zugriffsberechtigungen werden dynamisch evaluiert und basierend auf dem aktuellen Sicherheitsstatus angepasst. Faktoren wie Standort, Uhrzeit, Datum und Nutzer-ID fließen in die Bewertung ein. Ein Zugriff, der um 3 Uhr nachts von einem ungewöhnlichen Standort erfolgt, wird anders behandelt als ein regulärer Zugriff während der Arbeitszeit.
Implementierung in der deutschen Telematikinfrastruktur 2.0
Das Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC hat in Zusammenarbeit mit Bundesdruckerei, CompuGroup Medical, D-Trust GmbH und genua GmbH die Designgrundlagen für die TI 2.0 der gematik entwickelt. Diese neue Architektur zielt darauf ab, den Datenaustausch zu erleichtern und den Zugang zu Fachdiensten zu vereinfachen.
Zentrale Aspekte der TI 2.0 umfassen dynamische Zugangskontrollen, die nicht nur auf der Nutzeridentität basieren, sondern auch zusätzliche Faktoren wie Zeit, Standort und Sicherheitsanforderungen der Endgeräte berücksichtigen. Die Architektur ermöglicht eine gleichberechtigte Integration aller Beteiligten – Versicherte, Arztpraxen und Krankenhäuser – und unterstützt mobile Endgeräte, was eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem VPN-basierten Zugang der TI 1.0 darstellt.
Ein wichtiges Sicherheitsmerkmal ist der Schutz vor der Allmacht einzelner Akteure: Die Architektur verhindert, dass eine einzelne Infrastrukturkomponente allein Zugang gewähren kann. Möglicherweise sind sowohl ein Identitätsnachweis als auch die Verifizierung eines einmalig registrierten Geräts erforderlich, um Zugriffe mit gestohlenen Zugangsdaten oder Geräten zu verhindern.
Herausforderungen bei der Implementierung in KMU
Trotz der erheblichen Vorteile stellt die Implementierung von Zero-Trust, insbesondere für KMU, mehrere Herausforderungen dar. Die Komplexität der Abbildung von Datenflüssen und Arbeitsabläufen über zahlreiche Endpunkte und Drittanbieterdienste erfordert erhebliche Zeit, Technologie und Personal. Unvollständige Netzwerktransparenz kann die Identifizierung wesentlicher Ressourcen zusätzlich erschweren.
Die Kosten für Ersteinrichtung und laufende Wartung können beträchtlich sein, einschließlich Ausgaben für Implementierung, Pilotprojekte und Mitarbeiterschulungen. Kompatibilitätsprobleme können auftreten, wenn die dynamischen Regeln von Zero-Trust mit statischen Zugriffsberechtigungen älterer Systeme kollidieren. Zudem kann erheblicher Widerstand bei Mitarbeitern entstehen, wenn sich Sicherheitsprotokolle grundlegend ändern und Zugriffe aufgrund wechselnder Rollen oder unklarer Grenzen verweigert werden.
Empfehlungen für eine erfolgreiche Zero-Trust-Implementierung
Ein strukturierter Ansatz ist entscheidend für den Erfolg. PwC empfiehlt einen vierstufigen Prozess: Zunächst erfolgt eine initiale Zero-Trust-Reifegradbeurteilung, die die aktuelle Reife und Fähigkeiten der Organisation evaluiert. Darauf aufbauend wird eine individuelle Zero-Trust-Architektur definiert, die Technologie- und Architekturdesigns auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen des Unternehmens zuschneidet.
Die Entwicklung einer Roadmap und Technologiemodellierung ermöglicht eine strategische und umsetzbare ZTA-Roadmap für kosteneffiziente Planung. Schließlich erfolgt die Realisierung des Zero-Trust-Zielmodells mit Unterstützung bei der Implementierung des gewählten ZTA-Modells.
Praktische Umsetzungsschritte
Starke Identitätsverifizierung durch robuste Authentifizierungsmethoden wie MFA ist grundlegend. Alle Daten müssen sowohl im Ruhezustand als auch während der Übertragung verschlüsselt werden. Mitarbeiterschulungen und Sensibilisierung schaffen eine Sicherheitskultur durch regelmäßige Trainings zu Bedrohungen und ZTA-Protokollen, um menschliche Fehler zu minimieren.
Kontinuierliche Audits und Evaluierungen der Sicherheitsframeworks und Netzwerkinfrastruktur gewährleisten einen proaktiven Cybersicherheitsansatz. Die Gerätesicherheit muss sichergestellt werden, indem alle Geräte Sicherheitsstandards erfüllen, bevor Netzwerkzugang gewährt wird, und Zugangskontrollen für Endpunkte und IoT-Geräte durchgesetzt werden.
Spezifische Vorteile für das Gesundheitswesen
Zero-Trust-Segmentierung bietet dem Gesundheitssektor konkrete Vorteile: Dienste können während Angriffen aufrechterhalten werden, Patientenakten werden durch Isolierung von EHR-Anwendungen und -Daten geschützt, und lokale Compliance-Anforderungen werden erfüllt. Eine einheitliche Sicht auf Verbindungen über IT- und medizinische OT-Umgebungen hinweg erleichtert das Management.
Cloud-Migrationen werden sicherer gestaltet, Bedrohungen durch ungepatchte Systeme reduziert und die Incident-Response bei Ransomware automatisiert. Die Bereitstellung von Sicherheitsrichtlinien wird vereinfacht, und eine einfache Skalierbarkeit ist gewährleistet.
Fazit: Zero-Trust als Investition in die digitale Zukunft
Die Implementierung einer Zero-Trust-Architektur ist für KMU und das Gesundheitswesen in Deutschland eine komplexe, aber unverzichtbare Aufgabe. In einer zunehmend digitalisierten und bedrohten Umgebung bietet Zero-Trust den notwendigen Schutz für hochsensible Patientendaten und gewährleistet die Einhaltung strenger Compliance-Anforderungen. Mit einem strukturierten Ansatz, klarer Roadmap und kontinuierlicher Mitarbeitereinbindung lässt sich Zero-Trust auch in ressourcenbeschränkten Umgebungen erfolgreich umsetzen – als Investition in eine sichere digitale Zukunft.
Quellen: https://www.fraunhofer.de/en/press/research-news/2023/september-2023/future-proof-security-architecture-for-healthcare-communications.html, https://www.dataguard.de/blog/zero-trust-architektur-als-cybersicherheitsmassnahme/, https://www.heise.de/hintergrund/Gesundheitswesen-Wie-Zero-Trust-die-Telematikinfrastruktur-sicherer-machen-soll-9218611.html, https://www.illumio.com/de/blog/9-reasons-healthcare-providers-implement-illumio-zero-trust-segmentation, https://www.pwc.de/de/cyber-security/enterprise-security-architecture/zero-trust-assessment-and-architecture.html
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